Lösbarkeit von linearen Gleichungssystemen

Beim ersten Beispiel eines linearen Gleichungssystems mit zwei linearen Gleichungen hatten wir ein 2-Tupel als Lösung. Die beiden Zahlenwerte waren die Koordinaten des Schnittpunkts A:

    \[ \boldsymbol{L} = \Bigl \{ (3,4) \Bigr \} \]

Wir wissen, dass zwei lineare Funktionen nicht immer genau eine Lösung haben. Wenn sie parallel sind, haben sie keine Lösung und wenn sie aufeinander liegen, gibt es \infty-lich viele Lösungen . Lineare Gleichungssysteme verhalten ebenfalls so.

Betrachten wir die Sache wieder in drei Dimensionen, so können wir uns diesen Sachverhalt noch einigermassen bildlich vorstellen, wobei es bereits schon etwas schwieriger wird. Wir haben drei Unbekannte, x, y und z. Eine Gleichung entspricht einer Ebene. Zwei Gleichungen sind zwei Ebenen. Wenn sie nicht parallel und nicht identisch sind, dann schneiden sie sich in einer gemeinsamen Gerade (orange). Wenn eine dritte Ebene (rot) diese Gerade schneidet, dann haben wir genau einen Lösungspunkt, der alle drei Gleichungen gleichzeitig erfüllt. Es ist der einzige Punkt, der allen drei Ebenen gemein ist.

Jetzt gibt es aber Spezialfälle, die nicht zu einem Lösungspunkt führen. Wenn die dritte Ebene (rot) parallel zu einer der anderen Ebenen ist, werden wir keinen Lösungspunkt haben:

    \[ \boldsymbol{L} = \bigl \{ \bigr \} \]

Bei Gleichungssystemen erhalten wir diese oder ähnliche Situationen bei sog. überbestimmten Gleichungssystemen. Zwei unabhängige Gleichungen sind für zwei Unbekannte genug. Wenn wir aber drei Gleichungen haben für zwei Unbekannte, dann muss die dritte Gleichung mit der Lösung aus den ersten beiden Gleichungen ebenfalls erfüllt sein. Ist sie das nicht, haben wir die Situation in der oben Grafik.

Liegt die dritte Ebene aber so, dass die gemeinsame Gerade der ersten beiden Ebenen sogar in der dritten Ebene liegt, erfüllt die ganze Punktschar der Geraden die Bedingung, alle drei Gleichungen zu erfüllen. Die Gerade liegt dann ja in allen drei Ebenen gleichzeitig und somit erfüllen alle Punkte der Geraden die drei Gleichungen gleichzeitig. Wir haben in diesem Fall \infty-lich viele Lösungspunkte

Dieses Prinzip gilt auch bei höheren Dimensionen, jedoch können wir uns das nicht mehr bildlich vorstellen. Es gibt aber eine rein algebraische Methode, mit welcher wir herausfinden können, ob unser lineares Gleichungssystem eine, keine oder \infty-lich viele Lösungen hat.

Wir schauen uns das an unserem wohlbekannten Beispiel an:

    \[ \begin{cases} \begin{array}{cc} x  -  y  =  -1 \quad (1) \\  y = \;\;4 \quad (2) \\ \end{array} \end{cases} \]

Wir schreiben das Gleichungssystem nochmals hin, so dass alle Koeffizienten klar ersichtlich werden:

    \[ \begin{cases} \begin{array}{cc} 1 \cdot x + (-1) \cdot y = (-1) \quad (1) \\ 0 \cdot x + \;\;\;\;1 \cdot y = \;\;\;\;4 \quad (2) \\ \end{array} \end{cases} \]

Aus den Koeffizienten bilden wir eine sog. Matrix. Matrizen sind eigentlich verallgemeinerte Vektoren oder andersrum: Vektoren sind Matrizen mit nur einer Spalte.

    \[ A = \begin{pmatrix} 1 \;\; -1 \\ 0 \;\; 1 \end{pmatrix} \]

Es ist eine 2×2-Matrix und für solche können wir einen Kennwert berechnen, der Determinante heisst. Sie wird aus den Koeffizienten der Matrix wie folgt berechnet:

    \[ \det(A) = 1 \cdot 1 - 0 \cdot (-1) = 1 - 0 = 1 \]

Wenn die Determinante nicht null ist, dann gibt es eine Lösung, wie das in diesem Beispiel mit dem 2-Tupel (3,4) ja der Fall ist.

Aus den Koeffizienten der Grundform eines linearen Gleichungssystems lässt sich eine Matrix A aufstellen. Für diese Matrix lässt sich eine bestimmte «Kennzahl» berechnen, die Determinante heisst.

Für eine 2×2-Matrix lässt sich Determinante einfach berechnen:

    \[ \begin{cases} \begin{array}{cc} a_1 x + b_1 y = d_1 \\ a_2 x + b_2 y = d_2 \\ \end{array} \end{cases} \qquad \rightarrow \qquad A = \begin{pmatrix} a_1 \;\; b_1 \\ a_2 \;\; b_2 \end{pmatrix} \]

    \[ \det(A) = a_1 \cdot b_2 - a_2 \cdot b_1 \]

Die Berechnung der Determinante einer 3×3-Matrix ist etwas umfangreicher:

    \[ A = \begin{pmatrix} a_1 \;\; b_1 \;\; c_1 \\ a_2 \;\; b_2 \;\; c_2 \\ a_3 \;\; b_3 \;\; c_3 \\ \end{pmatrix} \]

    \[ \det(A) = a_1 \cdot (b_2 \cdot c_3 - c_2 \cdot b_3) - b_1 \cdot (a_2 \cdot c_3 - c_2 \cdot a_3) + c_1 \cdot (a_2 \cdot b_3 - b_2 \cdot a_3) \]

Determinanten können auch für grössere Matrizen berechnet werden, jedoch wird die Rechnung immer länger.

Beispiel

Zeige, dass das folgende lineare Gleichungssystem keine Lösung hat:

    \[ \begin{cases} \begin{array}{cc} 2x + 3y = 1 \quad (1) \\ \frac{2}{3}x + y = 0 \quad (2) \\ \end{array} \end{cases} \]


Zuerst stellen wir die Matrix auf:

    \[ A = \begin{pmatrix} 2 \;\; 3 \\ \frac{2}{3} \;\; 1 \end{pmatrix} \]

Dann berechnen wir die Determinante der Matrix:

    \[ \det(A) = 2 \cdot 1 - \frac{2}{3} \cdot 3 = 2 - 2 = 0 \]

Jetzt wissen wir schon mal, dass es nicht genau eine Lösung gibt, sondern eventuell keine oder \infty-lich viele Lösungen. Die Gleichung (1) können wir auch umformen zu:

    \[ 2x + 3y = 1 \qquad \rightarrow \qquad y = - \frac{2}{3}x + \frac{1}{3} \]

Aus der Gleichung (2) erhalten wir:

    \[ \frac{2}{3}x + y = 0 \qquad \rightarrow \qquad y = -\frac{2}{3}x \]

Wir könnten beides in einem x,y-Koordinatensystem als Geraden darstellen und beide hätten die Steigung -\frac{2}{3}. Allerdings hätte die Gerade der Gleichung (1) einen Achsabschnitt von +\frac{1}{3}, während die Gerade der Gleichung (2) die y-Achse im Ursprung schneidet. Beide Geraden sind parallel und schneiden sich deshalb nie. Deshalb können beide Gleichungen niemals gleichzeitig erfüllt werden, denn beim gleichen x-Wert liefern immer zwei unterschiedliche y-Werte. Damit ist erwiesen, dass das Gleichungssystem keine Lösung hat.

Wir können aber auch die Gleichung (2) mit dem Faktor 3 multiplizieren zu:

    \[ 2x + 3y = 0 \]

Damit erhalten wir das lineare Gleichungssystem:

    \[ \begin{cases} \begin{array}{cc} 2x + 3y = 1 \quad (1) \\ 2x + 3y = 0 \quad (2) \\ \end{array} \end{cases} \]

Jetzt ist es offensichtlich, dass es keine Lösung geben kann, denn wie auch immer die Kombination von x und y gewählt wird, können wir unmöglich beide Gleichungen gleichzeitig erfüllen!

Beispiel

Zeige, dass das folgende lineare Gleichungssystem \infty-lich viele Lösungen hat:

    \[ \begin{cases} \begin{array}{cc} 2x + 3y = 1 \quad (1) \\ \frac{2}{3}x + y = \frac{1}{3} \quad (2) \\ \end{array} \end{cases} \]


Die Matrix ist die Gleiche, wie im vorigen Beispiel. Somit müssen wir die Determinante nicht nochmals berechnen. Sie beträgt null. Wir multiplizieren die Gleichung (2) wieder mit dem Faktor 3 und erhalten:

    \[ 2x + 3y = 1 \]

Das gibt uns das folgende Gleichungssystem:

    \[ \begin{cases} \begin{array}{cc} 2x + 3y = 1 \quad (1) \\ 2x + 3y = 1 \quad (2) \\ \end{array} \end{cases} \]

Das ist nicht wirklich ein Gleichungssystem, denn die beiden Gleichungen sind ja identisch! Jetzt erfüllen unendlich viele Kombinationen von x und y die erste Gleichung (und damit natürlich auch die zweite Gleichung). Die 2-Tupel (x,y) sind dann Lösungen, wenn die Gleichung (1) bzw. (2) erfüllt ist. Diese können wir auch umschreiben als:

    \[ y = -\frac{2}{3}x + \frac{1}{3} \]

Das ist die Gleichung einer Geraden im x,y-Koordinatensystem. Alle 2-Tupel (x,y), die die Gleichung erfüllen, sind die Punkte auf dieser Geraden. Wir haben damit gezeigt, dass es \infty-lich viele Lösungen gibt.

Falls die Determinante der Koeffizientenmatrix A nicht verschwindet, hat das Gleichungssystem genau eine Lösung. Ist die Determinante jedoch gleich null, hat das Gleichungssystem keine oder \infty-lich viele Lösungen:

  • \det(A) \neq 0 \qquad \Leftrightarrow \qquad Das Gleichungssystem hat genau eine Lösung
  • \det(A) = 0 \qquad \Leftrightarrow \qquad Das Gleichungssystem hat keine oder \infty-lich viele Lösungen.

Wenn sich die Gleichungen im Gleichungssystem widersprechen, gibt es keine Lösung. Ist mindestens eine Gleichung nur ein Vielfaches einer anderen Gleichung und bringt damit keine neue Information (Redundanz), gibt es \infty-lich viele Lösungen.

David John Brunner

Lehrer für Physik und Mathematik, Zürich | Mehr erfahren

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